Die UN-Behindertenrechtskonvention und die inklusive Neuausrichtung des Bildungssystems – eine Herausforderung für bestehende Strukturen
Durch das Inkrafttreten der UN-Behindertenrechtskonvention 2009 in Deutschland besteht die Verpflichtung, die gesellschaftliche Teilhabe aller Kinder und Jugendlichen in allen Lebensbereichen auf allen föderalen Ebenen sicherzustellen und ihnen den Zugang zum allgemeinen Bildungssystem zu ermöglichen (Art. 24 Abs. 2 UN-BRK). Vor dem Hintergrund einer inklusiven Neuausrichtung sind bestehende Strukturen innerhalb der Systeme, aber auch zwischen der Jugend- und Sozialhilfe sowie der Schule herausgefordert: Zuständigkeiten, Aufgaben, Rollen und Kooperationen müssen erneut hinterfragt und mitunter grundlegend modifiziert werden. Rahmenbedingungen und Priorisierung der Umsetzung der sogenannten Inklusion in Regelschulen unterscheiden sich derzeit jedoch deutlich zwischen und auch innerhalb der Bundesländer. Vieles wurde bereits angestoßen, verändert und bewegt. Dennoch mangelt es vielerorts noch an tragfähigen Konzepten zur Umsetzung des inklusiven Unterrichtes, an den notwendigen organisatorischen und institutionellen Strukturen sowie an konzeptionell neu ausgerichteten Unterstützungsangeboten, um schulische Teilhabe für betroffene Kinder und Jugendliche zu gestalten. Trotz des großen Konsenses „pro Inklusion“ – welche Konsequenzen sich insgesamt aus diesem umfassenden Prozess für die jeweiligen Systeme ergeben, ist bislang nur in Ansätzen erkennbar.
Bundesweite Heterogenität hinsichtlich der Rahmenbedingungen, gesetzlicher Vorgaben sowie der Umsetzungspraxis der Integrationshilfen
Besonders deutlich wird die durch die UN-BRK mitbeförderte Dynamik im Bereich der Eingliederungshilfe am Beispiel der Integrationshilfen, deren zentraler Durchführungsort zunehmend die Schule wird. Trotz steigender Nachfrage in beiden Rechtsbereichen SGB VIII und SGB XII/IX ist deren strukturelle Ausgestaltung nach wie vor ungeklärt. ExpertInnengespräche (2015, 2016) und eine bundesweite Fachtagung (2017) des AFET sowie aktuelle Praxisforschungsprojekte des ism in diesem Bereich bestätigen, dass es derzeit keine Homogenität und keinen bundesweiten Vergleich der Form des Einsetzens, der Qualifizierung, der Rolle der SchulbegleiterInnen, der Finanzierung und der Bewilligungspraxis gibt. Ebenso heterogen gestalten sich in diesem Zusammenhang die Kooperationsstrukturen zwischen den beteiligten Systemen der Schule, der Jugend- und der Sozialhilfe. Gleichzeitig zeichnet sich ab, dass Inklusion am ehesten in einem komplementär gestalteten Verhältnis umgesetzt werden kann. Die wechselseitige Anerkennung von Kompetenzen erweist sich als unverzichtbare Grundlage für eine inklusive Weiterentwicklung. Integrationshilfen an Schulen stehen dabei exemplarisch für die Anforderungen, die es im Verhältnis zwischen den Systemen zu gestalten gilt.
Notwendigkeit der Praxisforschung und -entwicklung im Handlungsfeld schulischer Integrationshilfen
Trotz vieler Unklarheiten und regionaler Disparitäten – Integrationshilfen haben bundesweit Hochkonjunktur. Ihre Inanspruchnahme steigt stetig und dies häufig im zweistelligen Bereich. Die steigende Inanspruchnahme geht dabei jedoch häufig auch mit zunehmenden Schwierigkeiten in der praktischen Umsetzung einher (vgl. Fendrich/Pothmann/Tabel 2018: 47ff.). Derzeit entsteht verstärkt der Eindruck, dass es der Praxis an einem Orientierungsrahmen, Information und Austausch über konzeptionelle Ansätze zur Kooperation der Systeme und zur Gestaltung der Schnittstellen sowie Vereinbarungen über das Einsetzen der SchulbegleiterInnen in diesem Zusammenhang fehle. Vor allem die im Rahmen des BTHG erstmals mögliche Praxis des „gepoolten“ Angebotes von Integrationshilfen wirft zusätzliche Fragen auf, die sich insbesondere auf die Bedarfsfeststellung und individuelle Förderung im Setting eines Gruppenangebotes beziehen.